Guck, die Katze tanzt allein…
- Jelena Fandrey

- 18. Dez. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Was das Katzentanzlied mit Selbstwert zu tun hat.

Im Kleinkind/ Kindalter:
Hör mal Tom, heute kommt Tante Trude zu Besuch. Ja, ich weiss, du magst es nicht, wenn sie dir mit ihren Fenchel-Anis-Bonbon-Atem ins Gesicht haucht, dir fest die Hand drückt und sagt „Mensch Junge, an einem festen Händedruck erkennt man einen richtigen Mann! Das musst du noch üben. Da ist noch Potenzial nach oben.“ Aber weißt du, es ist doch Weihnachten (Geburtstag etc - passt alles) und sie meint das nicht so. Nimm sie wie sie ist - so ist sie eben.
Weißt du Anni, wenn Onkel Herbert da ist, sei doch bitte nicht so aufmüpfig wie das letzte Mal. Du brichst dir ja keinen Zacken aus der Krone, wenn du dich mal nett zu ihm setzt und ihm damit eine Freude machst. Du weißt doch, wie lieb er dich hat. Ja ich weiß, er küsst immer auf den Mund. Das macht er nicht extra - es passiert ihm einfach. Er ist ja schon alt. Hab doch ein bisschen Verständnis. Wir wollen doch ein schönes Fest.
Spätzchen und ein Kind auf dem Spielplatz streiten. „Ach Spätzchen, warum streiten das Kind und du euch ständig? Dann gib ihr doch mal deine Puppe. Sie gibt sie dir doch später wieder. Lerne doch mal zu teilen Kind. Wie willst du nur so durchs Leben kommen?“
Im Erwachsenenalter:
Susi, gibst du mal dein Smartphone der netten Frau am Nachbartisch? Wie du willst nicht? was kist denn mit dir los? was soll das heißen „das ist meins und war teuer!“. Sage mal, sie will doch nur ein bisschen damit spielen. Sie gibt es dir doch wieder, wenn sie geht.
Wow, Ottilie! Das ist ja der Wahnsinn das italienische Designerkleid, was du da gekauft hast. Würdest du es mir ausleihen für meinen Griechenlandurlaub? Das darf nicht gewaschen werden? ah ok. Naja, wird schon nichts passieren. Sei doch nicht so ich bezogen!
Hans, geiles Auto, Mann. Du wolltest also keinen Tesla, was? Aja, man weiß ja nie, was das noch gibt mit den Energiepreisen. Aber jetzt einen Ford Mustang in der Ausstattung… du musst es ja locker sitzen haben. Wirf mal die Schlüssel rüber - ich mach mal eine Spritztour. Hast bestimmt nichts dagegen. (ersetze durch jedes beliebige teure Auto - ist nicht so meine Branche)
„Oh, einen schönes Armband hast du da. Ach, das ist ja gar kein Edelmetall. Naja, dann kannst du es mir mal leihen - würde gut zu meinem Soho-Outfit passen. Wie, es ist dir emotional wichtig? ich gebe es dir doch wieder! Teilen ist ja echt nicht deine Stärke.
„Kathrin, kannst du diese Abrechnung bitte noch einbuchen? Ach, du hast schon seit einer Stunde Feierabend? Verstehe, aber sei bitte so gut. Das muss jetzt noch gemacht werden und ich schaffe es nicht mehr vor meinem Event heute Abend. Auf dich ist immer Verlass!“
„Michael, wir gehen noch zum Feierabendbierchen und mal sehen was der Abend noch so bringt! Sei doch kein Spielverderber! Oder hast du etwas Angst vor deiner Frau, ha, du Pantoffelheld! Komm schon, ein saftiges Stake und Frischfleisch warten auf echte Männer! Sei kein Loser.“
Etliche solcher Beispiele kennst bestimmt auch du. Wenn nicht, dann bist du entweder ein rarer Glückspilz oder schon so sehr konditioniert, dass du es nicht wahrnimmst und das Damoklesschwert des „ach, so ist es eben“ vor deinem eigenen Haupt baumeln lässt.
Es geht nicht darum ein Anti-Soziales-Lebewesen aus uns zu machen.
Jedoch werden wir von klein auf darauf geschult unsere eigenen Grenzen auszudehnen, bis wir als Erwachsene nicht mehr wissen, wo wir anfangen und wo aufhören. Plötzlich merken wir, dass es uns zu viel ist, dass wir gestresst sind, nicht Nein-sagen können usw. Dann fängt eine völlig neue Reise an - die Reise auf der Suche nach Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit und der Frage „Was bin ich mir überhaupt wert?“. Oder, wenn es schlecht läuft, von Arzt zu Arzt mit den unterschiedlichsten Diagnosen. Die Seele spricht durch unseren Körper.
Nun aber zur ursprünglichen Version des Katzentanzliedes, in dem die Katze sich ihre Tanzpartner noch aussuchen durfte. Dieses ging so:
Der Katzentanz

Guck die Katze tanzt allein, tanzt und tanzt auf einem Bein Kam der Igel zu der Katze, “Bitte reich mir deine Tatze” „Mit dem Igel tanz ich nicht: Ist mir viel zu stachelig!“ Kam der Hase zu der Katze, “Bitte reich mir deine Tatze” „Mit dem Hasen tanz ich nicht: Ist mir viel zu zappelig!“ Kam der Hamster... „Mit dem Hamster tanz ich nicht: Ist mir viel zu pummelig!“

Kam der Hofhund... „Mit dem Hofhund tanz ich nicht, denn der brüllt so fürchterlich!“
Kam der Kater zu der Katze, reichte ihr ganz lieb die Tatze. Streichelt sie und küsst sie sacht und schon hat sie mitgemacht. Und dann tanzen sie zu zwein über Stock und über Stein. Jede Maus im Mauseloch ruft “ein Glück, sie tanzen noch!”
Doch plötzlich leben wir in der Steinzeit. Jetzt darf niemand mehr abgelehnt werden. Denn in der Steinzeit bedeutetet Zusammenhalt, egal ob stachelig oder zappelig, in jedem Fall erhöhte Überlebenschancen. Heute müssen alle zusammenhalten und das nennen wir sozial gut verträglich „gemeinsam stark gegen“ (persönlich fände ich es schöner, wenn wir gemeinsam stark FÜR etwas einstehen würden als gegen etwas, aber dies ist noch einmal ein anderes Thema).
Kinder sollen vermittelt bekommen, dass alle gleich sind. Auch der stachelige Igel ist nun mein Freund, auch wenn mir beim Tanzen mit ihm mein Körper schmerzt und stachelige Wunden entstehen. Und der zappelige Hase tritt mir auf meine Füße, schmeisst mich um, aber er hat mir ja etwas ins Ohr geflüstert und deswegen gebe ich ihm was er will.
Das Lied geht mittlerweile nämlich so:

Kam der Igel zu der Katze, “Bitte reich mir deine Tatze” „Mit dem Igel tanz ich nicht: Ist mir viel zu stachelig!“ Doch der Igel neigt sich vor,
sagt der Katze was ins Ohr…
und dann tanzen sie zu zwein
über Stock und über Stein…
So machen das nun alle Tiere. Sie flüstern der Katze was ins Ohr und dann macht die Katze das was man von ihr will. Doch zur Krönung kommt nach wie vor der charmante Kater und nein, er unterstützt die Katze nicht. Sondern:
Er bringt alle andern mit
und schon tanzen sie im Schritt,
einmal laut und einmal leis
und schon tanzen sie im Kreis
bis zum Abendsonnenschein
und dann gingen alle heim.
Es ist rein evolutionstechnisch gut nachvollziehbar, dass wir nicht alleine tanzen sollten und wollten. Das Lebens als Steinzeitmensch war rau, kalt, gefährlich. In der Sippe leben bedeutete Sicherheit des physischen Überlebens. Wir sind aber nicht mehr in der Steinzeit. Wir können nicht einzelne Punkte herausgreifen und sie generalisierend über das heutige Leben stülpen.
Du kannst heute sehr gut alleine überleben. Du musst es aber nicht. Es ist allerdings deine absolut freie Entscheidung, mit wem du durch dein Leben tanzt. Dafür darfst du verlernen, was artige kleine Mädchen zu tun haben und wie sich kleine Jungs zu echten Männern entwickeln - angeblich.
Wäre dieses Konzept aufgegangen, wäre die Welt heute bereits ein ganz anderer, friedlicherer Ort, an dem sich Menschen liebend für ihre und die Grenzen ihrer Mitmenschen wertschätzen.
Diese Aufgabe dürfen wir noch einmal überdenken.





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